Sehr geehrte Frau Childs,

mit großer Bestürzung und Betroffenheit habe ich die Nachricht vom plötzlichen Tod Ihres Mannes, des Kollegen Professor Brevard S. Childs, erhalten. Als Direktor des Instituts für Katholische Theologie an der Universität Osnabrück spreche ich Ihnen, Ihren Kindern und der ganzen Familie mein aufrichtiges Beileid aus.

Mit Brevard S. Childs verliert die internationale Bibelwissenschaft eine mutige Persönlichkeit und einen herausragenden Gelehrten. Ihr Mann gehört zu den Pionieren einer Neuen Biblischen Theologie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine Wiederentdeckung des Kanons als Schlüssel einer theologischen Bibelinterpretation hat zahlreichen Kolleginnen und Kollegen nicht nur einen Weg gewissen, sondern eine breite Bahn geöffnet, auf der wir in noch unerforschtes Neuland gelangen können. Ich wüsste keinen anderen Exegeten zu nennen, dessen Werk in den zurückliegenden Jahrzehnten in der Fachwissenschaft so tiefe Spuren hinterlassen hat.

Die neue Richtung des „canonical approach“ findet in der deutschsprachigen Exegese erst allmählich größere Beachtung; lange Zeit stieß der Ansatz ihres Mannes in der Fachwelt auf Skepsis, nicht selten auch auf Ablehnung. Die Bibelwissenschaft in Osnabrück ist dem Wirken Ihres Mannes schon seit längerem auf besondere Weise dankbar verbunden: Wir, d.h. mein Kollege Professor Christoph Dohmen (der jetzt in Regensburg lehrt) und ich, haben Anfang der 90er Jahre begonnen, das Werk Ihres Mannes intensiver zu studieren und mit seinem Blick die Bibel als Kanon zu reflektieren. Von Christoph Dohmen kam dann die Anregung, das großen Werk „Biblical Theology of the Old and New Testaments“ ins Deutsche zu übersetzen; die Übersetzung ist schließlich 1994 und 1996 unter dem schönen Titel „Die Theologie der einen Bibel“ in zwei Bänden beim Herder Verlag in Freiburg im Breisgau erschienen.

Das Werk Ihres Mannes hat für nicht wenige Exegetinnen und Exegeten der jüngeren Generation in Deutschland schon jetzt gewissermaßen „kanonischen“ Rang erreichen, in dem Sinne, dass es auch unabhängig von seinem Autor weiterwirkt und immer neue Kräfte freisetzt – zum fortwährenden Hören auf das Wort Gottes in den vielen Worten der einen Heiligen Schrift.

Wir wollen Gott danken, dass er uns und der Welt diesen Diener des Evangeliums geschenkt hat, und wünschen Ihnen und Ihrer Familie in all Ihrer Trauer und Ihrem Schmerz das feste Vertrauen auf den, der unseren Anfang und unser Ende in seinen guten Vaterhänden hält.

Es grüßt Sie

gez. Georg Steins